Netzleittechnik
Formel
Netzleittechnik
Netzleittechnik als Mensch - Maschine - System
Die Netzleittechnik befasst sich mit einem Mensch - Maschine-System, welches auf den Betrieb elektrischer Energienetze ausgerichtet ist. Aus ergonomischer Sicht hat sie zwei Nahtstellen,
- eine zum Prozess
- eine zum betriebsführenden Menschen (Dispatcher, Operator).
Prozesse im Sinne der Elektro-Energietechnik
In der Elektroenergietechnik versteht man unter einem Prozess die Gesamtheit der aufeinander einwirkenden Vorgänge, durch die elektrische Energie in einem System transportiert, gespeichert oder umgeformt wird. Durch Automatisierungstechnik wird die Erfassung des Zustands eines dynamisch verlaufenden Prozesses und dessen gezielter Beeinflussung erreicht, sodass vorgegebene Aufgaben bzw. Funktionen teilweise oder sogar ganz ohne Mitwirkung von Menschen selbsttätig bestimmungsgemäß erfüllt werden.
Ziele dieser Automatisierung sind Arbeitserleichterung, Beherrschung komplexer Prozesse und von Prozessen mit großen Datenmengen oder von Prozessen mit geringen Reaktionszeiten, Erhöhung der Wirtschaftlichkeit durch Vermeidung von Stillständen und der Minimierung von Ressourcenverbrauch, Erhöhung der Sicherheit und der Schaffung humaner Arbeitsbedingungen sowie die Erhöhung der Produktqualität.
Die Entscheidung für oder gegen Automatisierung erfolgt in der Regel auf Basis der Rentabilität, ausgedrückt etwa durch den Return of Investment (RoI), welcher der Quotient aus Gewinn und eingesetztem Gesamtkapital ist.
Durch die Einwirkung auf den Prozess über die Automatisierungstechnik versucht der Mensch eine von außen oder durch sich selbst gestellte Aufgabenstellung zu verwirklichen. Dazu bildet er Teilaufgaben und versucht diese simultan oder sequentiell durchzuführen. In Form einer Rückkoppelung wird die aktuelle Aufgabenerfüllung mit der Aufgabenstellung verglichen und über einen erneuten Handlungsbedarf entschieden.
Ein wichtiger Aspekt für eine wirtschaftliche Betriebsführung ist die Fernsteuerung von Betriebsmitteln. Aus der Sicht des Dispatcher sind die Verlässlichkeit der eingehenden Daten und der Datenvorverarbeitung, sowie die Verfügbarkeit der Kommunikation vom und zum Prozess von höchster Bedeutung. Neben voll automatisierten Aufgaben werden dennoch viele Entscheidungen von Menschen getroffen und alle Entscheidungen von Menschen verantwortet. Die Güte des Gesamtsystems wird einerseits am objektiven Grad der Aufgabenerfüllung und andererseits an der subjektiv erlebten Beanspruchung des Menschen gemessen.
4 schichtiges Leittechnik-Ebenenmodel
Da sich elektrische Netze über große Entfernungen erstrecken, und zur Lösung der Betriebsführungsaufgaben ein Überblick über statische Zustände und dynamische Vorgänge im gesamten Netz erforderlich sind, werden Leittechniksysteme hierarchisch aufgebaut. Ziel dieser Arbeitsteilung ist es, entkoppelte Arbeitsfelder zu schaffen, bei Ausfall des übergeordneten Systems durch das unterlagerte System weiterhin den Prozess führen zu können, sowie die verbleibenden Kopplungen zun anderen Systemen ideal zu gestalten.
- Netzleitebene
dient der zentralen stationsübergreifenden Betriebsführung mehrerer Kraftwerke und vieler Umspannwerke, samt dem Transportnetz dazwischen - Stationsleitebene
zur lokalen aber feldübergreifenden Betriebsführung der jeweiligen Station (Kraftwerk, Umspannwerk, Schaltanlage). Dazu bedient man sich einer lokalen Stationswarte, welche über ein Leittechnik-Zentralgerät mit den lokalen Feldern einerseits und der übergeordneten Netzleitebene andererseits verbunden sind. - Feldebene
ausgestattet mit Sensoren und Aktuatoren für einzelne Felder, wie Leitung, Trafo, Eigenbedarf, Längskupplung, Querkupplung, Messfelder, ..., die ihrerseits aus mehreren Geräten, wie Leistungsschalter, Trenner, Trafo, Erder, Strom-bzw. Spannungswandler, Schutzgeräte … bestehen. - Geräte-/Prozessebene
umfasst die primärtechnischen Bauelemente wie Trenner, Leistungsschalter, Trafo, … Von den Geräten werden über Sensoren und Wandler bzw. NCITs (nicht-konventionelle Messwandler) samt Merging Units (Schnittstellen zur Prozessanbindung) die Messwerte abgegriffen. Befehle und Sollwerte werden an die Aktuatoren an die Geräte vorgegeben. - Fernwirktechnik verbindet die 4 Ebenen
Auf Grund der großen räumlichen Entfernungen, werden die 4 Leittechnikebenen durch die Fernwirktechnik zum Austausch von Nachrichten verbunden, wobei von der Feld- zur Stations- zur Netzleitebene eine Informationsverdichtung vorgenommen wird.
4 schichtiges Leitstellenmodell
- Netzleitstelle bzw. NCC - Network Control Center
Die Netzleitstelle verfügt über spezielle Software auf einem Computer(-verbund) . Zusätzlich verfügt jede Ebene über ein Visualisierungssystem mit Bedienerschnittstelle. Dieses HMI realisiert man als PC-Arbeitsplatz mit mehreren Monitoren. Beide Ebenen bauen auf den fernwirktechnisch übertragenen Prozessdaten auf, verarbeiten diese weiter, und nutzt sie zur Vorhersage (Prädiktion) des zukünftigen Systemverhaltens. - Stationsleitstelle bzw. SCS - Station Control Center
Besteht aus einem im Leittechniksteuerschrank verbautem Leittechnikzentralgerät und einem Bediensystem mit PC-typischen Bedienelementen. Dient der Nahsteuerung sowie der Meldungs- und Messwertverarbeitung und der Archivierung. Verfügt über Automatisierungsfunktionen zur Überwachung und Fehlerortlokalisierung. Kommuniziert „nach unten“ mit dem TCP/IP Protokoll IEC 61850 mit den Geräten der Feldleitebene und „nach oben“ mit der Netzleitstelle über das ebenfalls TCP(IP Protokoll IEC 60870-5-101104 bzw. über das serielle Protokoll IEC 60870-5-101. Auf der Stationsleitstellenebene sind heute alle Prozesse diditalisiert. - Feldleitebene mit Bedienpanel
Hier werden Feldleitgeräte und Schutzgeräte bzw. Kombigeräte (Schützen und Steuern in einem Gerät, vorwiegend in der Mittelspannung üblich) eingesetzt, die über ein kleines Display, LEDs und einige Bedientasten verfügen und in unmittelbarer Nähe (Schranktüre der MS-Zelle) der Primärtechnik (Schalter, Trenner, .. ) verbaut sind. Feldleitgeräte müssen daher über die erforderliche elektromagnetische Störfestigkeit für dieses Umfeld (Hochspannung, Hochstrom) verfügen. Das Bedienpanel kann üblicherweise ein Übersichtsbild des Feldes, ein Messwertbild mit den Messwerten der Zelle, einer Alarmliste mit anstehenden Gefahrenmeldungen, und einem Steuerungsbild („Ein“, „Aus“, „Befehlsausgabe läuft“) aufschalten. Auch auf der Feldleitebene sind heute alle Prozesse digitalisiert. - Prozessebene im Feld
Die Prozessebene ist, was die Automatisierung von energietechnischen Schaltanlagen betrifft, heute die einzige Ebene, auf der es noch analoge Prozesse gibt. So ist es heute noch in der Mittel-, Hoch- und Höchstspannung üblich, Messwerte analog über klassischen Wandlern zu erfasst und an analoge Eingabebaugruppen oder an direkte Wandlereingänge über eine Drahtverbindung anzubinden und erst im Feldleitgerät zu digitalisieren.
Aber auch hier ersetzt, durch den Einsatz von NCITs und Merging Units, die digitale Datenübertragung die letzten Meter zwischen der Primärtechnik und den IDEs. Von den Merging Units werden die (digitalen) sampled values dann über IEC 61850-9-2 weitergeleitet.
Echtzeit-Prozessoftware
Prozesssoftware dient der Überwachung und Steuerung technischer Abläufe eines Systems mit Hilfe von speziellen Rechneranlagen, die signalmäßig an den Prozess angebunden werden.
Prozesssoftware wird entwickelt, um einen sich verändernden Prozess zu kontrollieren und zu manipulieren, sowie zur Überwachung der dazu nötigen Rechner, peripheren Geräte und der Prozesssoftware selbst.
Will man den zeitkritischen Aspekt von Automatisierungssystemen betonen, so spricht man von Echtzeitsystemen. In Echtzeitsystmen erfolgt die Prozessdatenerfassung, Weiterleitung an die Leittechnik mittels Fernwirkverbindung, Verarbeitung und anschließende Ausgabe von Steuerdaten mittels Fernwirkverbindung an den Prozess erfolgt innerhalb einer exakt definierten Zeitspanne.
Da die Daten sowohl zufällig, als auch zu bestimmten Zeitpunkten anfallen können, ist ein Echtzeitsystem ständig betriebsbereit und muss eine dem Prozess entsprechende Reaktionszeitspanne haben. In energietechnischen 16,7, 50 oder 60 Hz Systemen liegt die Reaktionszeit im Bereich von 2 aufeinanderfolgenden Spannungs-Nulldurchgängen (also bei 10 mSec bei 50 Hz).
Das Zeitverhalten eines Prozesssystems wird aber auch geprägt durch die Antwortzeiten an der Benutzeroberfläche des Visualisierungs- und Bediensystmes und der Tatsache, dass keine vom Prozess eingehenden Informationen verloren gehen oder verzögert werden dürfen und dass Programmläufe abwechselnd vom Menschen oder vom Prozessgeschehen ausgelöst werden können.
Dispatcher bzw. Operator eines Netzleittechniksystems
Nachfolgend betrachten wir die Aufgaben eines Dispatchers in einer Netzleitwarte an Hand einer beispielhaften Stellenbeschreibung:
- Benennung der Stelle: Sachbearbeiter im Lastverteiler
- Zielsetzung der Stelle: Durch selbstständigen und ordnungsgemäßen Arbeitseinsatz zur Gewährleistung der optimalen, bedarfsgerechten Nutzung der möglichen Energieeinspeisungen sowie zum wirtschaftlichen Transport der Energie über Leitungen und Schaltanlagen zur Verteilung der elektrischen Energie beizutragen. Durch den Einsatz des neuesten Standes des technischen Wissens über die eingesetzten Verfahren ist neben dem betriebswirtschaftlichen auch auf das volkswirtschaftliche Optimum zu achten.
- Hierarchische Einordnung: Unmittelbar übergeordnet ist der Senior Dispatcher als fachlicher Gruppenleiter und der Abteilungsleiter für den Lastverteilerbetrieb. Die aktive Stellvertretung erfolgt durch einen anderen Dispatcher.
- Vollmachten: Der Dispatcher ist schaltanweisungsberechtigt an untergeordnete Kraftwerksgruppen oder Schaltanlagen. Er ist selbst Schaltberechtigt zur automatisierten Leistungsvorgabe und für das Anfahren und Abstellen von Maschinen, sowie zu allen damit verbundenen Schalthandlungen in Schaltanlagen bei denen keine weiteren Personen involviert sind. Er stellt für jedes Betriebsmittel sicher, das zu jedem Zeitpunkt nur genau eine Person die alleinige Schalthoheit besitzt.
- Kommunikationsbeziehungen: Innerbetrieblicher Art zu den Fachabteilungen und Stationswarten; Außerbetrieblich zu den Lastverteilern anderer EVUs, zu den Ämtern der Landesregierung und zum Militärkommando im Katastrophenfall.
- Aufgaben: Der Stelleninhaber veranlasst und kontrolliert folgende Tätigkeiten:
- Durchführung der Lastverteileraufgaben seines EVUs in Zusammenarbeit mit den Lastverteilern anderer über- und gleichgestellter EVUs und der Bahn.
- Erstellen und Überwachen von Fahrplänen
- Befehls- und Meldestelle bei Schalthandlungen
- Wahrnehmung der Netzüberwachung
- Ausübung von Lastverteileraufgaben im Zusammenhang mit der Durchführung von Beteiligungs- und Energietauschverträgen
- Veranlassung von Personaleinsatz bei Störungen, sowohl Störungsbehebungstrupps, als auch die Besetzung von sonst unbesetzt geführten Werken.
- Führung von statistischen Aufzeichnungen über Erzeugung, Verbrauch, Verluste, Leistungsspitzen, Arbeitsvermögen, Betriebsstunden, …
- Dienstanweisungen und Verfahrensvorschriften zur Arbeitsverrichtung: Er hält sich an diverse Betriebsvorschriften, sowie Wasserrechts- und Umweltbescheide sowie an Dienstanweisungen
- Anforderungen an den Stelleninhaber: Ausbildung an einer HTL oder FH. Einschulung in Form von „Training on the Job“ mit Abschluss durch Schaltberechtigungsprüfung. Es erfolgt eine laufende innerbetriebliche Weiterbildung.
- Bewertungskriterien: Gewissenhaftigkeit, Kompetenz und Exaktheit bei technischen Handlungen sowie Kooperationsbereitschaft und Kontaktfreudigkeit.
Schon den nächsten Urlaub geplant?
Auf maths2mind kostenlos auf Prüfungen vorbereiten!
Nach der Prüfung in Ruhe entspannen
Wissenspfad
Zur aktuellen Lerneinheit empfohlenes Vorwissen
Elektrische Energienetze |
Aktuelle Lerneinheit
Netzleittechnik |
Verbreitere dein Wissen zur aktuellen Lerneinheit
Unterscheidungsmerkmale elektrischer Maschinen | Bild
|
Qualitätskriterien elektrischer Energienetze |